Sie haben eine Todesnachricht zu überbringen ...

Zunächst

lesen Sie bitte dieses Blatt durch, auch wenn Sie es schon kennen. Die Fragen im ersten Teil sollen Ihnen helfen und Sie auf die schwere Aufgabe einstimmen. Die praktischen Ratschläge im zweiten Teil sollen Ihnen helfen, nichts zu vergessen, was wichtig werden könnte, soweit es vorhersehbar ist. Nehmen Sie sich fünf bis zehn Minuten Zeit, versuchen Sie sich zu entspannen und: Seien Sie ehrlich zu sich selbst!

Was werden Sie antreffen? Entsetzte Hinterbliebene? Kinder darunter? oder Eltern vielleicht, die durchdrehen bei der Nachricht? sich schreiend am Boden wälzen, mit den Fäusten auf Sie losgehen oder Ihnen stumm und hilflos schluchzend um den Hals fallen?

Oder wird alles ganz anders sein: Völlige Gefaßtheit, Gleichgültigkeit oder gar Erleichterung, vielleicht sogar Genugtuung über den Tod und Haß auf den Verstorbenen?

Sie kennen die Geschichte zwischen dem Toten und seinen Hinterbliebenen nicht, wissen nicht, ob die Ehe gut war, die Kinder o.k., wissen nichts von Liebe und Glück, nichts von Schuld und Schulden, Sie wissen nur, was die Hinterbliebenen noch nicht wissen: Ein Angehöriger ist gestorben oder verunglückt.

Und Sie müssen auf alles gefaßt sein.

Wie steht es mit Ihnen selbst? Werden Sie unsicher, wenn Sie Ihre Gefühle nicht verbergen können? wenn Ihnen die Worte ausgehen und Sie einem aufgewühlten wildfremden Menschen nur noch stumm die Hand drücken können? Oder werden Sie aggressiv, wenn wieder ein Kind, es könnte Ihr eigenes sein, von einem rücksichtslosen Autofahrer überfahren wurde? Verachten Sie den Fixer mit dem Goldenen Schuß auf dem Bahnhofsklo? und was halten Sie von dem Mann, der sich in seiner Alterseinsamkeit am Fensterkreuz erhängt hat? ...

Denken Sie hin und wieder über den Tod nach, der Ihnen in Ihrem Beruf, sei es auf der Straße, sei es beim Verbrechen, so häufig begegnet? Oder versuchen Sie einen Bogen um den Tod zu schlagen? Doch so etwas läßt sich eigentlich nicht immer durchhalten. So etwas macht einen bei solcher Aufgabe doch nur verkrampft korrekt oder völlig hilflos. Egal wie die Angehörigen reagieren werden, sie erwarten von Ihnen fast immer möglichst viel Einfühlungsvermögen. Wenn Sie verkrampft sind, geht das nicht. Sie sollen bereit sein, offenen Herzens und mit verletzbarer Seele für die Angehörigen in dieser Situation da zu sein, so wie diese es für ihre körperliche Unversehrtheit und den Aufruhr ihrer Seele brauchen. Das können Sie nur, wenn Sie selbst keine unüberwindbare Angst, aber auch keine Hornhaut auf der Seele haben. Doch das hängt wohl zusammen.

Routine für solche Aufgaben kann und darf es nicht geben. Ihre Unsicherheit ist im Gegenteil auch wertvoll: Ihre Unsicherheit läßt Sie im positiven Fall alle Sinne öffnen für die Signale, die Ihr Gegenüber aussendet - das ist wichtig. Ihre Unsicherheit macht Sie menschlich - und selbst wenn Ihnen einmal die Augen feucht werden sollten oder plötzlich ein hemmungslos weinender Mensch in Ihren Armen liegt, und Sie ihm nur noch hilflos das Haar streicheln können. Sie brauchen sich dessen nicht zu schämen, auch nicht vor Ihrem Kollegen. Es kommt in diesem Moment nur darauf an, daß Ihr Gegenüber Ihr Verständnis spürt. Seien Sie also ganz da für den Hinterbliebenen und ertra­gen Sie seine Nähe - um so eher wird er dann auch für Ihre viel­leicht nötigen Nachfragen da sein und sich etwas normalisieren.

Grundsätze

Haben Sie in Ruhe die Fragen bis hierher gelesen? Wenn nein, dann sollten Sie das zuerst tun. Denn die folgenden Ratschläge sind keine Gebrauchsanweisungen für den Umgang mit Hinterbliebenen. Die Ratschläge sind nur ein paar Hilfshinweise, sozusagen Ihr »Notfallkoffer«. Ob Sie ihn richtig anwenden, hängt unmittelbar mit Ihrer Persönlichkeit und Ihrer Geistesgegenwart zusammen, und die erwerben Sie nicht durch Handlungsrezepte.

Vorbereitungen

1. Auch wenn es zunächst viel einfacher erscheint: Geben Sie solche Nachrichten nie telefonisch durch. Sie lösen im Erleben des anderen eine Extremsituation aus. Das Telefongespräch mag er noch überstehen, aber wenn er danach zusammenklappt und ohne Hilfe ist, dann haben Sie die Folgen Ihres Anrufs zu verantworten.

2. Wenn ein Polizeibeamter noch nie eine Todesnachricht überbracht hat, sollte er keinesfalls allein eine solche Aufgabe übernehmen. Aber der junge und unerfahrene Kollege sollte mitgenommen werden, damit er eine solche Situation kennenlernt, bevor er sie selbst verantwortlich bewältigen muß.

3. Soweit es ohne zuviel Aurwand möglich ist, machen Sie sich vorher sachkundig: Der Tote oder schwer Verletzte muß einwandfrei identifiziert sein, notfalls nachfragen. Wie ist der Unfallhergang (ohne daß Sie ihn dann ausführlich in seiner Schrecklichkeit erzählen sollen)? Wo befindet sich der Tote? Wer wird weitere Auskunft geben können (Arzt, Kranken­haus)? Wenn Sie sich sachkundig gemacht haben, können Sie nach dem ersten Schock ein kompetenter Gesprächspartner sein. Manchmal, besonders in kleinen Ortschaften, lassen sich auch weitere Auskünfte einholen: Wer gehört zur Familie? Sind momentane Schwierigkeiten und Krankheiten bekannt? Sie können sich dann innerlich auf die Begegnung besser einstimmen. Fragen Sie aber keine Nachbarn, das könnte Probleme geben.

4. Sie müssen mindestens 30 Minuten Aufenthaltszeit in der Wohnung einkalkulieren - es kann aber auch deutlich länger dauern.

5. Gehen Sie möglichst nicht allein. Wenn Sie jemanden mitnehmen, der kein Kollege ist (z.B. einen Pfarrer, Arzt, Verwandten), sollten Sie ihn kennen und vorher Ihre Funktionsaufteilung besprechen (Sie übernehmen die Nachricht, Ihr Partner die Nachbetreuung).

6. Nehmen Sie unbedingt ein Funkgerät mit, aber lassen Sie es zunächst ausgeschaltet. Mit dem Funkgerät können Sie Hilfe herbeirufen lassen (Arzt, Pfarrer, Angehörige). Vielleicht informieren Sie aber schon vorher vorsichtshalber die Rettungsleitstelle, damit notfalls schnell ärztliche Hilfe geschickt werden kann.

Verhalten vor Ort

1. Manche Menschen lächeln unbewußt - aus Unsicherheit oder um Aggressionen ihres Gegenübers abzuwehren. Das wird Ihnen nicht unterlaufen, wenn Sie sich das bewußt machen.

2. Sind Sie auch wirklich an der richtigen Adresse? Gibt es im Haus mehrere Bewohner mit demselben Namen? Fragen Sie vorsichtshalber nach: Sind Sie die Frau von ... der Vater von...? Doch zunächst: Stellen Sie sich kurz vor und nennen Sie Ihre Dienststelle.

3. Die Nachricht sollte erst nach Betreten der Wohnung gesagt werden, sonst könnte hinter der verschlossenen Tür möglicherweise ein medizinischer Notfall eintreten. Wenn man Sie nicht einlassen will, ist der Satz: Ich muß Ihnen eine schlimme Nachricht bringen... meist der richtige Türöffner. Er eignet sich auch als Überleitung zur eigentlichen Nachricht. Und wenn Sie dann noch stehen sollten: Können wir uns nicht hinsetzen? Denn es wird besser sein, wenn der Hinterbliebene die Nachricht sitzend erfährt, für den Fall, daß er umkippt.

4. Anwesende Unbeteiligte und Kinder sollten anfangs möglichst nicht zugegen sein (Nebenzimmer)..

5. Inzwischen ist der/die Hinterbliebene auf das Schlimmste gefaßt: Sagen Sie jetzt Ihre Nachricht ohne Umschweife und ohne falsche Hoffnungen zu lassen: Ihr Mann hatte vor zwei Stunden einen Verkehrsunfall und starb noch an der Unfallstelle.

6. Jetzt lassen Sie dem Hinterbliebenen Zeit für seine Reaktion. Alles ist möglich. Seien Sie offen und verständnisvoll - Mitleids- und Beileidsfloskeln werden in der Regel nicht erwartet, sondern nur Ihr Verständnis und Ihre momentane Anteilnahme als Zeuge dieses schrecklichen Augenblicks.

• Bei stark emotionaler Reaktion - Zeit lassen!
• Fällt man Ihnen um den Hals, geht man Sie tätlich an - in den Arm nehmen!
• Bleibt die Emotion aus, wirkt der Hinterbliebene starr und verschlossen - Achtung: Es kann sich ein Kollaps anbahnen. Er kann Sie auch möglichst schnell aus der Wohnung haben wollen - Suizidgefahr!
• Suizidgefahr auch, wenn der Hinterbliebene irgendwelche Schuldgefühle äußert!
• Bei körperlichem Zusammenbruch oder Hysterieanfällen - Arzt rufen!
• Ist der Angehörige offensichtlich erleichtert über den Tod - Achtung: nicht moralisch verurteilen, sondern auch in diesem Fall behutsam verstehend nachfragen!
• In der Regel gilt: Wenn der erste Schock vorüber ist, fragen Sie nach dem Verstorbenen, interessieren Sie sich dafür, was er für ein Mensch war, was er seinen Hinterbliebenen bedeutet hat. Sie bekunden damit mehr Anteilnahme als durch ein »Herzliches Beileid«. Achtung: Diese Fragen dürfen keinen Verhörcharakter haben und sollen zu nichts weiter dienen, als dem Angehörigen zu zeigen, daß jemand bemüht ist, auf seine schreckliche Lage einzugehen. Anknüpfungsbeispiele: Das muß ein fürchterlicher Verlust für Sie sein... Sie haben ihn/sie sehr geliebt!?... Er/sie hat Ihnen viel bedeutet ... Sie hatten ein gutes Verhältnis zueinander ... Erzählen Sie doch etwas über ihn/sie ... Leiten Sie dann über auf anstehende Probleme, bringen Sie aber keine Lösungen, das ist nicht Ihre Aufgabe. Wie wird es nun weitergehen? Haben Sie jemanden, der Ihnen zur Seite steht? Lassen Sie dem Hinterbliebenen Zeit, seine Antworten zu finden! Kann ich etwas für Sie tun? Soll ich jemanden von Ihren Verwandten oder Freunden anrufen? Oder haben Sie in der Nachbarschaft jemanden, der nach Ihnen schauen soll?

7. Sie sollten in der Regel nicht gehen, ohne eine zuverlässige Person in der Wohnung zu hinterlassen: Ihr Kollege, mit dem Sie gekommen sind, ein Arzt, ein Pfarrer, ein emotional nicht so stark betroffener Verwandter oder Freund oder ein Nach­bar. Soweit möglich: Fragen Sie den Hinterbliebenen, wen Sie herbeirufen lassen sollen. (»Ungeübte« Hilfspersonen müssen diskret auf mögliche Krisen hingewiesen werden.)

8. Hinterlassen Sie Ihre Visitenkarte und eine Kontaktadresse, über die der Hinterbliebene weitere Einzelheiten erfragen kann.

Nachbereitungen

Verdrängen Sie Ihr Erlebnis nicht! Gehen Sie noch einmal alles in Gedanken durch:
• Ist der/die Hinterbliebene auch wirklich unter helfender Kontrolle und eine Kurzschlußreaktion weitgehend ausgeschlossen?
• Wie fühlen Sie sich? Erleichtert, verunsichert, gekränkt, aufgewühlt, verärgert oder ...?
• Sprechen Sie die Situation und auch Ihre Gefühle möglichst mit Ihrem Kollegen durch. Fragen Sie ihn, wie er es erlebt hat, wie er sich fühlt.
• Wenn Sie sehr geschlaucht sind, dann gilt auch hier wie in anderen belastenden Situationen: Streßabbau durch körperliche Betätigung!
• Wenn Sie Ihren anderen Kollegen Bericht erstatten, seien Sie menschlich: Geben Sie keinen Sensationsbericht. Erzählen Sie nur dann ausführlicher, wenn Sie auch über Ihre Reaktion und Ihre Gefühle sprechen können.
Wenn Sie Kollegen haben, mit denen Sie auch solche Gespräche führen können, dann sind Sie in einem guten Kollegenkreis.
• überlassen Sie ein Nachgespräch mit den Angehörigen keinem Kollegen. Gehen Sie selbst, Ihnen bringt man Vertrauen entgegen, weil Sie dem Hinterbliebenen durch die gemeinsam durchgestandene Extremsituation verbunden sind.
• Wenn es geht, fragen Sie im Nachgespräch auch, ob Sie etwas falsch gemacht haben, etwa in der Art: ich fühle mich immer fürchterlich unwohl, wenn ich jemanden mit einer solchen Nachricht wehtun muß... Sie beweisen damit ein weiteres Mal Ihr Verständnis und Ihre Solidarität und Sie bekommen - vielleicht tatsächlich eine brauchbare Rückmeldung für Ihr Verhalten.

Nun haben Sie Ihre Gedanken gesammelt und sind auf Ihre Aufgabe gut eingestimmt. Jetzt sollten Sie die nötigen Vorbereitungen treffen.

Und dann machen Sie sich mit Ihrem Kollegen auf den Weg!




Das Unglück allein
ist noch nicht das ganze Unglück;
Frage ist noch,
wie man es besteht. Erst wenn man es schlecht besteht,
wird es ein ganzes Unglück. Das Glück allein
ist noch nicht das ganze Glück.
Ludwig Hohl





Erste Hilfe bei Ohnmacht, Bewußtlosigkeit und Schock

OHNMACHT UND BEWUSSTLOSIGKEIT

Wenn der Hinterbliebene plötzlich zuammensinkt, blasse Hautfarbe und kaum wahrnehmbaren Puls hat und nicht ansprechbar ist,
dann Atmung überprüfen (Kopf zurückneigen/Atemwegefrei machen) und Rettungsdienst rufen!

Wenn die Atmung nicht wieder einsetzt,
dann Mund-zu-Nase-Beatmung!

Wenn der Hinterbliebene bei tiefer Bewußtlosigkeit und fehlendem Puls blaßblau wird,
dann Herz-Lungen-Wiederbelebung einleiten!

Wenn spontane Atmung einsetzt,
dann in stabile Seitenlage bringen (Kopf zurück usw.)!

SCHOCK

Wenn der Hinterbliebene mit fahler Blässe und kaltem Schweiß im Gesicht reagiert (= mangelhafte Durchblutung der Haut [Nagelbettprobe]), er bei schnellem, schwachem Puls unruhig ist (Achtung: Es kann plötzliche Ohnmacht eintreten!),

dann
1. sofort hinlegen (keine Medikamente geben, nicht trinken und nicht rauchen lassen)!
2. ständig Atmung und Puls kontrollieren!
3. Beine hochlegen!
4. warm zudecken!
5. beruhigend mit dem Hinterbliebenen reden (fast wie mit einem kleinen Kind, das man beruhigen will)!
6. nie allein lassen!
7. Rettungsdienst rufen!

Dr. Eberhard Bürger, Leitender Polizeiarzt

Herausgegeben von der kirchlichen Polizeiseelsorge im Regierungsbezirk Tübingen in Zusammenarbeit mit der Polizeidirektion Biberach.
Kontaktadresse für Rückmeldungen:
Landespolizeidriektion Tübingen, Konrad-Adenauer-Str. 30, 72072 Tübingen
Nachdruck mit dieser Quellenangabe gestattet.